Hinter den sieben Bergen lebte einst ein Schneewittchen mit ihren sieben Zwergen.
Sie führte ihnen den Zwergenhaushalt, koch, wusch und backte für sie, molk die Kuh und was dergleichen Arbeit noch weiter anfiel. Seit Schneewittchen ihnen zugelaufen war, sparten die Zwerge eine Menge Taler, die sie zuvor für allerlei Dienstleistungen ausgegeben hatten. Und da die Zwerge fleissige Arbeiter waren, hatten sich im Lauf der Zeit etliche Goldtaler in ihrer Schatztruhe angesammelt.
Dies kam einer bösen Hexe zu Ohren, die fortan auf einen Plan sann, Schneewittchen und ihre Zwerge um ihre Schatztruhe zu erleichtern. Giftäpfel waren zu der Zeit schlecht zu bekommen, also musste sie sich etwas anderes einfallen lassen.
Sie verkleidete sich als Marketenderin, belud einen Karren und machte sich auf den Weg über die sieben Berge zu Schneewittchen und ihren Zwergen.
Nach Tagen dort angekommen, klopfte sie bei Schneewittchen an die Tür:
„Einen wunderschönen guten Tag dem gnädiges Fräulein! Darf ich ihr wohl meine Waren feilbieten?“
Schneewittchen, dankbar für die Abwechslung in ihrer Einöde, besah sich den Karren der Marketenderin. Ein Milchkrug weckte ihr Interesse. Gerade heute morgen hatte die Katze den Krug der Zwerge vom Tisch geworfen und er war auf dem Steinboden zerschellt.
„Ah, gute Wahl“ sagte die Marketender-Hexe.
„Was soll er denn kosten?“ fragte Schneewittchen.
„Einhundertundzwanzig Goldstücke, wenn's beliebt“ antwortete die Marketenderin.
Schneewittchen zog die Augenbrauen in die Höhe, starrte die Marketenderin an und überlegte insgeheim, ob sie wohl einer Verrückten Einlass gewährt hatte.
„Nun, es ist ein besonderer Krug“ fuhr die Hexe fort. „Er wird, solange ihr ihn besitzt, immer mit frischer, köstlicher Milch gefüllt sein.“
Schneewittchen dachte an das frühe Aufstehen zum Melken, vor allem im Winter, wenn es noch dunkel war und ihr im Stall die Finger klamm wurden. Sie befand, daß sie nach so langem Einsatz für die Zwerge etwas Erleichterung verdient hätte und es ihr wohl zustand, für diesen Wunderkrug an die gemeinsame Schatztruhe zu gehen.
Dann fiel ihr Blick auf einen schlichten, aber sorgfältig gearbeiteten Leinenbeutel, von dem ein leckerer Duft ausging.
„Und was ist das?“ erkundigte sie sich.
„Ein Brotbeutel“ bekam sie zur Antwort.
„Und kann der auch irgendwas besonderes?“
„Solange ihr nicht mehr als die Hälfte des Brotes abschneidet, wird sich der Brotlaib immer wieder erneuern, sobald ihr den Beutel zuschnürt.“
Schneewittchen dachte an die viele Zeit, die sie mit Teigkneten und dem Heizen des Backhäuschens zubrachte und entschied sich auch für diesen Kauf.
Die Hexe ließ sich noch etwas herunterhandeln, dann war man sich einig.
„Würdet ihr mir wohl erlauben, meine müden alten Knochen noch etwas bei euch auszuruhen?“ fragte anschließend die Hexe.
Schneewittchen ließ sie auf der Ofenbank Platz nehmen und nach einiger Zeit kamen die Zwerge müde, hungrig und durstig von ihrer anstrengenden Arbeit.
Schneewittchen nahm ihren neuen Krug und schenkte dem ersten Zwerg seinen Becher voll mit Milch.
„Das macht dann einen Goldtaler“, tönte es von der Ofenbank.
Empört schaute Schneewittchen zur Hexe. „Lizenzgebühren“, murmelte diese nur.
Die Zwerge murrten, doch sie hatten ja keinen eigenen Krug mehr.
Und so kassierte die Hexe von jedem Becher Milch für die Zwerge – nur Schneewittchen durfte sich umsonst bedienen.
Das gleiche Spiel wiederholte sich beim Brot. Die Zwerge murrten noch lauter, doch Schneewittchen musste zugeben, daß sie kein eigenes Brot gebacken hatte.
Auf diese Weise schröpfte die Hexe das dumme Schneewittchen und ihre Zwerge, bis die Schatztruhe leer war.
Dann zog sie von dannen. Mit ihr ging auch die Zauberkraft des Milchkruges und des Brotbeutels, so daß Schneewittchen doch wieder die Kuh melken und Brot backen musste.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Nur eben arm statt reich als zuvor.